RE-WRITING HISTORY: Resurface I

installation, video, 400 polaroids, 2013 – ongoing

To be visible means today to be present in the Google search algorithm. So we startet in 2013 the project Resurface I-III to re-write female history. The project devotes itself to female artists of the 19th and 20th century who, although successful in their own lifetimes, are not present in the global memory today.

Resurface I lets re-emerge the portraits of forgotten women artists of the 19th and 20th centuries. Based on Linda Nochlin’s famous essay „Why Have There Been No Great Woman Artists“ (1971), the project examines whether there really have been no excellent international women artists – except for famous positions such as Frida Kahlo or Käthe Kollwitz. Women of that time, if they wanted to pursue an artistic career, were exposed to extremely difficult conditions. In the course of Johanna Reich’s research in various museums, collections and archives, a collection of 400 female artists of the 19th and 20th centuries was created.

The artists located in various archives are gradually appearing on the Internet due to progressive digitization, or Johanna Reich’s team has put them online on Wikipedia or expanded already existing articles. They thus infiltrate the image of 19th and 20th century art history shaped by male artists and pose the question of how historiography has changed in the post-digital age: while it used to be fixed by books, it is now generated by the Internet, which on the one hand can harbor the danger of a filter bubble, and on the other hand makes a great democratization possible – and calls the familiar into question.

In order to make the brief moment of “resurfacing” visible, Johanna Reich makes polaroid portraits of the female artists and films the picture development process with a digital camera.

Im Projekt „RESURFACE“ lässt Johanna Reich die Portraits von vergessenen Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts wieder auftauchen. Ausgehend von Linda Nochlins berühmtem Essay “Why have there been no great Woman Artists” (1971) untersucht das Projekt, ob es wirklich keine excellenten internationalen Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts gab – ausser berühmter Positionen wie Frida Kahlo oder Käthe Kollwitz. Frauen der damaligen Zeit waren, wollten sie eine künstlerische Laufbahn einschlagen, extrem schwierigen Rahmenbedingungen ausgesetzt. Im Laufe von Johanna Reichs Recherche in verschiedenen Museen, Sammlungen und Archiven entstand eine Sammlung von 400 Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts, die zu ihrer Zeit erfolgreiche und eigenständige Kunstpositionen vertraten, im Laufe der Geschichte aber in Vergessenheit gerieten.

Die in verschiedenen Archiven ausfindig gemachten Künstlerinnen tauchen durch die fortschreitende Digitalisierung nach und nach im Internet auf bzw. wurden von Johanna Reichs Team auf Wikipedia online gestellt bzw. schon existierende Artikel erweitert. Sie unterwandern so das durch männliche Künstler geprägte Bilder der Kunstgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und stellen die Frage danach, wie sich Geschichtsschreibung im Postdigitalen Zeitalter verändert hat: wurde sie früher durch Bücher fixiert, so wird sie heute durch das Internet generiert, was auf der einen Seite die Gefahr einer Filterbubble in sich bergen kann, auf der anderen eine große Demokratisierung ermöglicht – und Bekanntes in Frage stellt.


Gedächtnis – Erinnerung – Vergessen – längst interessieren sich nicht mehr nur Neurowissenschaftler*innen und Mediziner*innen für diese schwer greifbaren und immer etwas diffus scheinenden Begriffe. Auch die Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften beschäftigen sich mittlerweile mit der Thematik. Die Gründe, Folgen und Mechanismen des Vergessens, dem vermeintlichen Gegenpol der Erinnerung, rücken seit einigen Jahren mehr und mehr in den Fokus des öffentlichen Interesses.1) Die Künstlerin Johanna Reich beschäftigt sich in ihrem Projekt RESURFACE, zu deutsch Wiederauftauchen, mit dem Vergessen als Ausgangspunkt eines Wiederentdeckens.
Im Laufe ihrer Recherche in verschiedenen Archiven entstand eine Sammlung von 300 Künstlerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts, die zu ihrer Zeit eigenständige künstlerische Positionen vertraten, teilweise auch finanzielle Erfolge verbuchen konnten, jedoch im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten sind. Mit der zunehmenden Digitalisierung analoger Fotografien finden auch ihre Porträts und Arbeiten durch eine Verbreitung über das Internet den Weg zurück in die Öffentlichkeit und sind einem größeren Publikum zugänglich. Unter ihnen befinden sich beispielsweise die Malerin Florine Stettheimer, die in den 1920er und 1930er Jahren mit ihren, an Miniaturmalerei erinnernden Arbeiten in der New Yorker Kunstszene für Aufsehen sorgte, die Australierin Hilda Rex, deren Arbeiten 1911 im Pariser Salon ausgestellt wurden, wie auch die finnlandschwedische Malerin, die bereits mit 17 Jahren ihre Arbeiten an die Finnische Kunstgesellschaft verkaufte.2)


Von über 300 der ausgewählten Künstlerinnenporträts fertigt Johanna Reich Polaroidbilder an und bildet deren Entwicklungsprozess mit der Videokamera ab. Mittelpunkt der Videoinstallation RESURFACE ist die Projektion dieses Filmes auf Schaumfolie. Weiß, beinahe transluzent scheint sie zwischen Boden und Decke zu schweben. Die Konturen der Gesichter zeichnen sich darauf immer deutlicher ab, für einen Moment sind sie ganz präsent und gegenwärtig – dem Vergessen für kurze Zeit entrissen um dann wieder zu verschwinden. Etwas schemenhaft diffuses, wie eine flüchtige Erinnerung, die man noch nicht ganz greifen kann, bleibt jedoch. Die in einer Reihe an der Wand angeordneten Polaroid-Porträts, ergänzt durch einen kurzen biografischen Text, der der Wikipedia entnommen ist, fungieren als Bildlegende. Der Kampf der Frauen um Anerkennung in der Kunstwelt ist so alt wie die Kunst selbst.
Vom Kunstbetrieb nur am Rande oder gar nicht wahrgenommen verschwanden zahlreiche Kunstwerke samt ihren Schöpferinnen in der Versenkung des Vergessens. Nur wenige Ausnahmen, wie etwa Paula Modersohn-Becker, bestätigen diese Regel. Seit einiger Zeit ist ein ansteigendes Interesse an jenen oft ignorierten oder vergessenen Positionen zu verzeichnen. So widmet beispielsweise das Verborgene Museum in Berlin Ausstellungen und Buchprojekte ausschließlich Künstlerinnen, die meist in der Weimarer Republik tätig waren, jedoch nie die künstlerische Anerkennung bekamen, die ihnen zustand. Reich ermöglicht uns mit ihrer Arbeit einen Blick aus einer neuen Perspektive auf die von Männern dominierte Kunstgeschichte des 19. und Jahrhunderts.

Christina Lindner, Dokfest, Fridricianum Kassel, 2016


1 Oliver Dimbath und Peter Wehling: Soziologie des Vergessens: Konturen, Themen und
Perspektiven. 2011.
2 http://johannareich.com/portfolio/resurface